Lexikon

Aus: Rock in Deutschland auf CD-ROM

Klaus Schulze

"Das deutsche Elektronik-Genie" (POP), am 4.8.1947 in Berlin geboren, trommelte während der Gymnasialzeit in der Amateur-Beat-Gruppe Psy und wurde im Herbst 1969 mit seinem Eintritt bei Tangerine Dream Profi. Ein Jahr später löste er sich von den Tangerine Dream-Musikern Edgar Froese und Conny Schnitzler und gründete mit Manuel Göttsching und Hartmut Enke im September 1970 die Gruppe Ash Ra Tempel.

Nach einer Plattenaufnahme und einer Tournee durch die Schweiz stieg Klaus Schulze (September '71) bei Ash Ra Tempel aus und wandte sich Soloprojekten, vor allem elektronischen Experimenten, zu. Anregungen holte sich Schulze, der seit 1968 seine Musik auf Band aufnimmt ("Ich habe damit ein Archiv meiner Entwicklung"), im Elektronikstudio von Thomas Kessler, wo auch Tangerine Dream, Ash Ra Tempel und Agitation Free experimentierten. Zudem studierte Schulze an der Technischen Universität Berlin Germanistik, Psychologie und Musik (experimentelle Komposition bei Blacher, Ligeti, Dahlhaus, Winkel). 1971 richtete er sich ein eigenes Studio ein.

Mit den Musikern des Colloquium Musica der Freien Universität nahm Klaus Schulze Anfang 1972 sein erstes Soloalbum "Irrlicht" auf. Schulze, der sich verpflichten mußte, den Namen des Orchesters geheimzuhalten, über die Zusammenarbeit: "Die seriösen Herren wurden bitter enttäuscht, als ich keine schwarz-weiß punktierten Partituren auf den Musikthron legte und bezeichneten es als monoton, langweilig und einfallslos, als ich erklärte, daß ich nur einen Ton von ihnen wollte, der sich erst nach zehn Minuten verändert." Für die "Quadrophonische Symphonie für Orchester und E-Maschinen" wählte Schulze den Titel "Irrlicht", "weil es ein diffuser Begriff ist, denn ich kann auch meine Musik nicht klar definieren. Ich versuche, sie selbst erst im Nachhinein zu verstehen".

Sein erstes Live-Konzert gab Klaus Schulze am 28.2.1972 im Pariser Theatre de la Quest, bei dem er die von ihm komponierte Ballettmusik "Totemfeuer" zu Gehör brachte. Zwischenzeitlich stellte er seine Musik in Verbindung zu einem Hörspiel und für therapeutische Maßnahmen kostenlos Berliner Gefängnissen und Nervenheilanstalten zur Verfügung. Im Februar 1973 begann Schulze mit den Aufnahmen zum Doppelalbum "Cyborg", bei dem er wiederum orchestrale Töne im Studio verfremdete: "Die klassischen Instrumente verschwammen in einer Technik, die mit Hilfe von Transistoren und Magnetströmen neue musikalische Impulse gibt. "Der Berliner Elektronikmuster, für den die Technik "eine Erweiterung der natürlich Organe, eine Art Prothese bedeutet", setzte seine Kompositionen auch für Hörspiele, als Filmmusiken (für einen Wetterfilm und den Bernhard-Kleve-Kurzfilm "Chromengel"), für Fernsehserien ("Aspekte") und zur Kohutek-Meteoriten-Sendung ein.

Anfang des Jahres 1974 erschien "Blackdance" (nach einem Begriff aus der Ballettmsuik), in dessen akustischem Schattentanz Klaus Schulze mit Orgel, Piano, Gitarre, Trompete und Synthesizer seinen Tagesablauf nachzeichnet. Das Album wurde als "eine Erklärung gegen die Anti-Humanität der meisten elektronischen Komponisten" (MALVEM GAZETTE), mit "einem seltsamen und manchmal wundervollen Sound" (WESTERN EVENING HEROLD) verstanden und als "neues elektronisches Meisterwerk" (POP) aber auch als "höchst überflüssig" (NEW MUSICAL EXPRESS) eingestuft. Die Vereinigung der Kriegsblinden vergab für Klaus Schulzes "Das große Identifikationsspiel" den ersten Preis als "Bestes Hörspiel 1973".

Während einer Frankreichtournee im Juni und August 1974 trat Schulze u. a. in den Kirchen von Troyes und Lyon und beim Internationalen Sciene-Fiction-Kongress in Grenoble auf, wo er zudem einen Vortrag über "Science Fiction und Musik" hielt.

Klaus Schulze, der sein Musikverständnis mit dem Begriff "Picture Music" erklärt, arbeitete ab Herbst 1974 kurzfristig mit Michael Hoenig zusammen. "Picture Music", wahrscheinlich die beste Formulierung für Schulzes Musik, ist auch Titel seiner vierten Solo-LP. "Man muß hinhören, dann entstehen Bilder, kommen Gedanken" (POP).

Nach einer Frankreichtournee (im April1975) und einigen Konzerten in Deutschland (FÜRTHER NACHRICHTEN: "Schulze gibt sich an keinem Punkt mehr mit traditionellen Instrumenten ab, er setzt voll auf die Elektronik und geht dabei weit über Stockhausen hinaus") produzierte Schulze in Tokio die erste Langspielplatte der Far East Family Band.

Barocker, bombastischer und 'klassischer' stellte sich Klaus Schulze auf seinem Album "Timewind" vor, das - die Titel "Bayreuth Return" und "Wahnfried 1883" deuten es an - Richard Wagner gewidmet ist. Die französische Académie Charles Gros zeichnete ihn im März 1976 für dieses Album mit dem "Grand Prix International Du Disque" in der Kategorie "Tendenz aktuell" aus. Vor Schulze wurden Jimi Hendrix und Pink Floyd mit dieser Auszeichnung bedacht. Auch dieses Album profitiert von der ausgezeichneten Hüllen-Gestaltung des Schweizers Urs Amman.

Nach seinem Umzug von Berlin in die Heide absolvierte Schulze im Herbst 1975 eine Italien- und Schweiztournee und zeichnete für die zweite Produktion der Far East Family verantwortlich.

Für einen TV-Vortrag über die Spinnen, der erstmals am 28. und 30.12.1975 gesendet wurde, verwendete der Experte Horst Stern ein harmonisches Klanggewebe Klaus Schulzes. Zum Jahresbeginn 1976 arbeitete Schulze neben anderen Stars an Stomu Yamashtas Plattenprojekt "Go". Nach der LP-Produktion führten Steve Winwood, Mike Shrieve, Al Di Meola, Pat Thrall, Rosco Gee, Phil Manzanera, Karin Friedmann, Klaus Schulze und ein Orchester unter der Leitung von Paul Buckmaster das Werk am 29. Mai 1976 in der Royal Albert Hall auf. Eine weitere Aufführung am 12. Juni im Pariser Palais des Sports führte zu dem Album "Go Live From Paris".

Rhythmischer, bewegter und auch verträumter stellte sich Klaus Schulze nach der teutonischen "Timewind"-Arbeit auf "Moondawn" vor. Schulze zu seinen Arbeiten: "Meine Musik entsteht nur aus meiner Empfindung heraus. Was zu hören ist, sind meine Gedanken und Empfindungen." Daß Schulzes Gedanken - zumindest in seiner Heimat - nicht von den Kritikern verstanden werden" (PETRA) zeigte sich an Kommentaren wie: "Damit wird eine Art Hypnose erzeugt, sollen Hochgefühle und Beklemmungsgefühle beim Hörer erzeugt werden" und "Schulze-Musik ist Altbackenes, ist Konventionelles vom Wühltisch des Supermarktes Unterhaltung" (SOUNDS). Klaus Schulze trat im Oktober 1976 beim 2. Metamusik-Festival in Berlin auf, gab im Dezember ein SFB-Konzert, spielte zum Abschluß des Brain-Festivals in der Essener Grugahalle (26.2.77) und war in der Fernsehsendung "Musik Extra 3" (28.2.) zu sehen. Für Lasse Brauns Pornofilm "Body Love" lieferte Klaus Schulze das rhythmische Fundament. Das gleichnamige LP-Produkt war im Frühjahr 1977 eine der meistverkauften Importplatten des amerikanischen Marktes.

Das Album "Mirage", prophezeite das amerikanische Fachblatt RECORD WORLD, "wird ihn langfristig als einen der überragendsten Komponisten elektronischer Musik etablieren." Schulzes Flexibilität (in Stimmung und Endprodukt) zeigt sich deutlich an der bizarr-eisigen elektronischen Winterlandschaft auf "Mirage", einem "faszinierenden Album" (MELODY MAKER).

Nach zwei Konzerten im Londoner "Planetarium" (12. u. 13.4.77) bereiste Schulze Belgien und Frankreich, wo er zwei Auftritte mit Arthur Brown absolvierte. Im Herbst gab er noch einmal sieben Konzerte in Deutschland, bevor er in der Brüsseler Kathedrale 5.500 Besucher begeisterte.

Stomu Yamashtas Einladung zur Produktion der Langspielplatte "Go Too" und dem Filmmusik-Auftrag für "Barracuda - The Lucifer Project" sind Beispiele für Schulzes internationale Reputation als Elektronikmusiker.

Parallel zu seiner ersten Deutschlandtournee im Oktober 1978 (mit 13 Konzertterminen) erschien sein zehntes Platten-Werk. Auf vier LP-Seiten und "sechs musikalischen Biographien", die Nietzsche, Trakl, Herbert, Bach, Ludwig II und Kleist gewidmet sind, macht Schulze deutlich, daß er seine diversen Synthesizer exzellent zu beherrschen weiß und zu den Avantgardisten deutscher Rockmusik gezählt werden muß.

Im Poll '78 der Zeitschrift SOUNDS wurde Schulze nach Michael Rother als beliebtester deutscher Musiker genannt.

Schulze etablierte im Heideort Hambühren eine kurzlebige Synthesizer-Schule, die in Wochenendseminaren Anfänger und Fortgeschrittene in die Funktion und Spielbarkeit des Synthesizers einweisen wollte. Im nahe gelegenen Winsen richtete "der Magier am großen Moog" (MUSIK EXPRESS) ein Ton- und Videostudio und mit dem Label IC (Innovative Communication), eine Schallplattenfirma ein. Unter dem IC-Etikett erschien das überaus erfolgreiche Debütalbum der Gruppe Ideal.

Als Interpret schloß er Anfang 1979 mit der Firma Metronome einen Schallplattenvertrag, der ihm 500.000 Mark für jede LP garantierte. Dazu gehörte das mit "Dune" betitelte Werk, das auf Schulzes Faszination für den Frank Herbert-Roman "Dune" (deutsch: "Wüstenplanet") zurückgeht. Schulzes schwebende Klänge erinnern dabei "an eine Fabel aus Mystik und Science Fiction: prophetisch, lyrisch hell und düster und bisweilen schicksalsschwanger" (MUSIK EXPRESS). Erstmals integrierte er Vokalpassagen in seine Arbeit, die von Arthur Brown vorgetragen wurde.

Weitergehende Experimente verpackte Schulze unter dem Namen Richard Wahnfried: zugleich eine frühe GEMA-Einnahme für seinen am 22.4.1979 geborenen Sohn Richard. Zur "Musik zwischen Genie und Unsinn" (Covertext) verhalfen ihn auf zwei Alben Arthur Brown, Vincent Crane, Michael Shrieve und Manuel Göttsching.

Im Oktober 1979 ging Klaus Schulze auf Europatournee. Live-Aufnahmen von Amsterdam, Berlin und Paris fanden für das Doppepalbum "Live" Verwendung.

Die Leser der Zeitschrift SOUNDS zählten Klaus Schulze im Poll '79 wiederum zu den drei besten nationalen Musikern.

Im September 1980 beteiligte er sich an der Ars Electronica und demonstrierte dabei in einem Live-Vortrag seine "Linzer Stahlsymphonie". Schulze versuchte, die zuvor im Stahlwerk aufgenommenen Arbeitsgeräusche zu interpretieren und musikalisch aufzubereiten. "Weil er ästhetisch wie sozial danebengriff", resümierte die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, "war die Stahlsymphonie inhuman und überflüssig" oder gar "blankes Blech" (SALZBURGER NACHRICHTEN).

Mit dem Crumar G.D.S., einem digitalen Musikcomputer, entstand die Langspielplatte "Dig It". Eine Pressung der Firma Amiga von 50.000 Exemplaren war in der DDR innerhalb von zwei Tagen ausverkauft.

Der "überragende Komponist elektronischer Musik" (RECORD WORLD) wünschte sich "ein aktives Publikum, das sich die Musik nutzbar macht, das sie wie Rohmaterial bearbeitet und zu einer eigenen Schöpfung macht. Ohne die Teilnahme des Publikums bleibt nur eine einschläfernde Atmosphäre übrig, die vollkommen sinnlos ist".

Auf dem eigenen IC-Label erschien das "Trancefer"-Album, bei dem der Percussionist Michael Shrieve und der Cellist Wolfgang Tiepold mitwirkten. Mit "außerordentlicher Dynamik" (MUSIK EXPRESS) konzipierte Klaus Schulze eines seiner besten Werke. Eine Europatournee im November / Dezember 1981, deren deutsche Konzerte in Kirchenhallen stattfanden, absolvierte Schulze mit dem Gitarristen Manuel Göttsching (Ashra).

Angeregt durch Trakls Buch "Sebastian im Traum" kreierte er die Langspielplatte "Audentity", auf der er musikalisch Sebastians Leben erzählt. Die MUSIK SZENE lobte ein "Monument einer Musik, die zukunftsweisend ist." Im Februar 1983 brach Klaus Schulze zu seiner längsten Konzertreise auf, die ihn mit 105 Gastspielen in 16 Länder führte. Dazu gehörte auch eine 8-Städtetournee durch Polen im Juli, die in ausverkauften Hallen stattfand. Allein in Wroclaw (Breslau) bejubelten 15.000 und in Warschau 8.000 begeisterte Fans Schulzes Synthesizer-Demonstrationen. Konzertmitschnitte wurden später unter dem Titel "Dziekuje Poland" in einem Doppelalbum veröffentlicht. Als Gastmusiker verpflichtete er den klassisch ausgebildeten Keyboard-Spieler Rainer Bloß, der zuvor in der Gruppe Extra spielte.

Mitte 1983 verkaufte Klaus Schulze sein IC-Unternehmen: "Ich bin im Herzen Musiker und nicht Unternehmer. Der Apparat ist mir zu groß und unübersichtlich geworden - und startete ein neues Unternehmen: Die Musikproduktion Inteam.


IRRLICHT (1972) Brain 1077
CYBORG (1973) Brain 21.078
BLACKDANCE (1974) Brain 60.406
TIMEWIND (1975) Brain 1075
PICTURE MUSIC (1975) Brain 40.146
MOONDAWN (1976) Brain 1088
MIRAGE (1977) Brain 60.040
BODY LOVE (1977) Metronome 60.047
DZIEKUJE POLAND (1979) IC 58065
DIG IT (1980) Brain 60.353
LIVE (1980) Brain 80.048
TONWELLE (1981) IC KS 80006
TRANCEFER (1981) IC KS 80014
AUDENTITY (1983) IC KS 80025-26
Rainer Bloß:
BLOSS ALS TRAUM-TÖTERS KNECHT (1983) IC KS 80020

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