Lexikon

Aus: Rock in Deutschland auf CD-ROM

Fehlfarben

Thomas Schwebel
Gitarre, Gesang (10.8.1959), Uwe Jahnke Gitarre (22.12.1959), Uwe Bauer Schlagzeug (4.6.1953)
"Die Gründung der Fehlfarben war eine reine Ulkidee. Nirgendwo anders als in London (England) hatten Uwe, Peter und Thomas die Idee einer Gruppe, die die jeweils neuesten Wellen schneller reiten sollte als die Engländer. Diese neue Gruppe sollte parallel zu Mittagspause und Materialschlacht inkognito bleiben und mit einer Mod-Single starten" (Fehlfarben-Info). Gitarrist Thomas Schwebel, ein eingeschworener Fan der New Yorker Disco-Gruppe Chic, und Sänger Peter Hein, Anhänger der britischen Neo-Mod-Band The Jam, gehörten beide Mittagspause an, der "ersten Kultgruppe des deutschen New Wave-Undergrounds" (MUSIK EXPRESS).

Danach arbeiteten sie mit dem DAF-Bassisten Michael Kemner und dem Materialschlacht-Schlagzeuger Uwe Bauer am Fehlfarben-Konzept. Im November gingen Schwebel, Hein, Bauer und Kemner, um den
Der Plan-Saxofonisten Frank Fenstermacher verstärkt, ins Studio, um für ihr selbstfinanziertes und neugegründetes Welt-Rekord-Label die Single "Abenteuer und Freiheit" / "Große Liebe / Maxi" aufzunehmen. Das Stück "Große Liebe / Maxi" war eine Neubearbeitung des "Industriemärchens" der Solinger Gruppe S.Y.P.H., wo Schwebel noch vor Mittagspause als Songwriter aufgefallen war. Im Januar 1980 veröffentlichte die Band die Single in eigener Regie. In dem aufkeimenden Ska-Revival zierte das Cover ein schwarzweißes Karomuster und tanzende Ska-Männchen. Nach dreiwöchigen Proben folgte der erste Auftritt in Mannheim. Zwischen März und August absolvierten Fehlfarben dann circa 30 Auftritte in ganz Deutschland und traten auch im Rahmen der Wiener Festwochen auf.

Im Juli hatten Fehlfarben ihre Single inklusive der Rechte an ihrem Welt-Rekord-Label an die Plattenindustrie (EMI) verkauft. 3.000 Mark erhielten die Musiker dafür. Die Single erschien neu im Vertrieb des Branchenriesen und Fehlfarben gingen zur Produktion neuer Demos ins Studio. Während in der Szene die Skepsis gegenüber der Band, die als erste Gruppe der neuen deutschen Musik den Schritt zur Industrie gegangen war, wuchs, begannen Fehlfarben im Juni 1980 mit den Aufnahmen der ersten LP "Monarchie und Alltag". Mit von der Partie: Der Pyrolator (Gesang und Synthesizer).

Schon im Oktober kam die erste Platte auf den Markt und wurde fast ohne Ausnahme als die wichtigste und maßgebendste neue Produktion dieser Tage eingeschätzt. STEREOPLAY verlieh "Monarchie und Alltag" das Prädikat "Die besondere Platte". SOUNDS erkannte in Peter Hein "den besten, wichtigsten Songwriter hierzulande... Visionen, Prophezeiungen, leere Lehren werden nicht verbreitet. Hein singt, stammelt, spricht Alltagsprosa... Eines der schönsten Lieder heißt 'Paul ist tot', ein sensibler Versuch, Empfindungen aus dem Ratinger Hof zu transportieren. Was bei diversen Deutschrock-Bands schwülstig-bombastisch gerät, entwickelt sich bei Fehlfarben zu einem atmosphärisch-beklemmenden Stück über einen Mikrokosmos, der für sie/uns Universum ist." Zu bedenken gab SOUNDS damals schon: "Wie soll diese Synthese aus Funk / Rock / Punk / Beat / Disco / Avantgarde / Pop-Elementen noch erweitert / verändert werden?" Auch der MUSIK EXPRESS sah in "Monarchie und Alltag" ein vor allem auch textlich reifes Werk und verteilte fünf von möglichen sechs Punkten in der Monatswertung. Im Vorprogramm der britischen Rockband 999 stellten Fehlfarben ihr LP-Programm vor.

Für das Frühjahr 1981 waren die Planungen für eine längere Deutschlandtournee schon abgeschlossen, als Peter Hein und Frank Fenstermacher die Gruppe verließen. Nach kurzer Depressionsphase entschloß sich das verbleibende Trio Bauer-Schwebel-Kemner, mit dem Ex-S.Y.P.H.-Gitarristen Uwe Jahnke weiterzuarbeiten. Nach nur wenigen Auftritten als Quartett produzierte man eine neue Single ("Das Wort ist draußen"), die im Mai auf den Markt kam. Thomas Schwebel hatte die Vokalteile und damit ein schweres Erbe angetreten, da für viele "Fehlfarben unlösbar mit Hein und seiner ausdrucksstarken Performance verbunden war" (MUSIK EXPRESS). 12.000 Besucher sahen den neuen Frontmann mit Fehlfarben bei nur 10 (!) Auftritten in Nordrhein-Westfalen. Danach ging die Band für die Aufnahmen der zweiten LP "33 Tage in Ketten" (ein programmatischer Titel, der die Empfindungen der Musiker während der Studiozeit widerspiegelt) ins Studio. Im Juni und Juli entstanden die neuen Titel. Kurz nach Beendigung der Aufnahmen verließ auch Bassist Michael Kemner Fehlfarben, um mit Wolfgang Spelmans (Ex- DAF) Mau Mau zu gründen. Mittlerweile hatte sich das Albumdebüt (NEW MUSICAL EXPRESS: "Die Platte ist großartig - wie die Band!") "Monarchie und Alltag" in den deutschen LP-Charts auf Rang 37 plaziert.

Der Song "Ein Jahr (Es geht voran)" vom ersten Album hatte sich ebenfalls zu einer Szene-Hymne gemausert. Es wurde zu dem "Song der Hausbesetzer- und Anti-Reagan-Bewegung" (MUSIK EXPRESS). "Es geht voran" war zu einem geflügelten Wort geworden, diente Sprayern für ihre Graffiti und brachte Fehlfarben den Ruf ein, eine politische Band zu sein, ein moderne Version der Ton Steine Scherben. der Song und sein Slogan hielten sich beharrlich in der Szene. 1982 verspätet als Single veröffentlicht, wurde "Ein Jahr (Es geht voran)" doch noch zum Hit. Fehlfarben mußten gegen das starke Klischee, die Kategorisierung ankämpfen. Jahnke sagte: "Eine Kultband, die irgendwelche politischen Bewegungen bedient, sind wir schon gar nicht."

Ungeachtet der sich anbahnenden Entwicklungen verkrafteten Fehlfarben den neuerlichen Aderlaß (Kemner) und teilweise bissige LP-Kritiken (SOUNDS: "... trotz aller Bemühungen um musikalische Neuerungen (mehr Synthie und Piano) die phrasenhafte Wiederholung des Debüt-Albums ... Hein ist unersetzbar!"). Das verbleibende Trio verstärkte sich um Rüdiger Sterz (Bass), Ralf Albertini (Saxofon) und die Sängerinnen Olivia Casali und Sylvia Schütze für die Herbsttournee. "33 Tage in Ketten" plazierte sich im November auf Rang 36 der deutschen LP-Charts.

Im Januar und Februar 1982 stand die Produktion der dritten Single auf dem Programm. Für Sterz kam Hans Maahn, genannt HBmann (Bass, Klavier). "14 Tage" / "Feuer an Bord" wurde im März veröffentlicht. Klarer als je zuvor ließ sich mit dieser Musik die Tendenz Funk herauskristallisieren. Aus dem zunächst als Manko verstandenen, laufenden Musikerwechsel machte Fehlfarben dann ein Konzept.

Nach einer weiteren Tournee durch Deutschland, Österreich und Holland im April und Mai 1982 und einer "Rockpalast"-Aufzeichnung gingen Bauer, Jahnke und Schwebel zur Produktion von "Glut und Asche" ins EMI Studio in Köln. Über zwei Monate Studiozeit und 23 Musiker waren notwendig, um die neuen Ideen des Fehlfarben-Stamms zu realisieren. Mit Bläsern und Streichern arbeiteten Fehlfarben an einem Konzept, das die deutsche Kritik nach Veröffentlichung Anfang 1983 in einem Atemzug mit solch ausgebufften Produktion aus englischen Studios wie ABC oder Heaven 17 verglich. Im MUSIK EXPRESS setzten die Kritiker die LP deutlich auf Platz 1 der Tipliste und kürten "Glut und Asche" ("Der Sound ist für deutsche Verhältnisse ungemein reich und aktionsgeladen, dabei sinnvoll geordnet und einfach angenehm fürs Ohr. Das gilt sowohl für die rein technische Seite als auch für den gelungenen Einsatz von Arrangements mit vielen Gastmusikern, Bläsern und Streichern") zur "Platte des Monats". "Wir waren mal die Vorreiter, sind dann vergessen worden, und heute wundern sich die Leute, daß es uns noch gibt", kommentierte Bauer die enthusiastischen Reaktionen auf die erste Fehlfarben-LP nach fast zweijähriger LP-Pause relativ sachlich. Das schon aufgrund der '82er Maxi-Single "14 Tage" (die vor allem in England gute Kritiken bekam) von EMI Großbritannien bekundete Interesse an Fehlfarben wurde mit Veröffentlichung von "Glut und Asche" neu zum Ausdruck gebracht. Drei Titel der LP wurden von Tom Robinson ins Englische übersetzt und synchronisiert, eine Single ("Magnificent Obsession") zur Veröffentlichung auf der Insel vorgesehen und sogar Videos (für die Konzepte erstellt wurden) sollten produziert werden. "Wir waren 3 1/2 Monate in den Startlöchern, doch nix ist passiert", verwies Uwe Bauer später auf eine "interne Verschleppung" aufgrund von Uneinigkeit zwischen den EMI-Töchtern Deutschland und England.

Schließlich hieß es aus England lapidar: Kein Interesse mehr. Auch die Veröffentlichung einer zweiten Maxi-Single für Deutschland, "Agenten", die neu bearbeitet wurde, verzögerte sich so unglücklich, daß die Platte genau in den Sommerferien auf den Markt kam und somit niemand Notiz von ihr nahm.


MONARCHIE UND ALLTAG (1980) Welt-Rekord 1C 064.46150
33 TAGE IN KETTEN (1981) Welt-Rekord 1C 064.46380
GLUT UND ASCHE (1983) Welt-Rekord 1C 064.46715

Aus: Rock in Deutschland auf CD-ROM