Lexikon |
|
Wallenstein | |
Im Spätherbst
1971 gründete der Kunststudent und klassisch trainierte Musiker Jürgen Dollase (16.9.48) die Rockgruppe
Blitzkrieg. Mit ihm rüsteten der amerikanische Gitarrist Bill Barone (31.7.51), der holländische Bassist
Jerry Berkers (14.12.47) und der deutsche Schlagzeuger Harald Großkopf (23.10.49) auf. Noch vor dem Jahresende 1971 spielte das westdeutsche Quartett die vier Themen der ersten Langspielplatte ein. Da eine (ältere) englische Band den Gruppennamen Blitzkrieg beanspruchte, entschied sich Jürgen Dollase für den Albumtitel "Blitzkrieg" und den neuen Bandnamen Wallenstein, nach dem gleichnamigen Feldherrn aus dem 30jährigen Krieg. Zwar kam bei "Blitzkrieg" "manches schon von anderen Gruppen bekannt vor, das Ganze ist aber virtuos gespielt und zeigt, wozu die Rockmusik fähig ist, wenn andere Musikrichtungen (hier vorzugsweise Klassik bis zu den modernen Im- und Expressionisten) nicht nur collagenhaft eingebaut, sondern in den Kompositionen weiterverarbeitet werden" (SOUNDS). Dollase: "Ich schaffe aus dem 'Geist der Klassik' eine Musik, die sich nur gelegentlich gewisser Formprinzipien der Musiktradition bedient". Im Frühsommer 1972 nahmen Dollase, Barone, Berkers und Großkopf "Mother Universe", das zweite Album auf, für dessen Plattenhülle die Dollase-Großmutter abgelichtet wurde. Die französische Popzeitschrift BEST kürte "Mother Universe" zur "LP des Monats", mit der Begründung: "Die Musik von Wallenstein ist einmalig. Es gelingt ihnen, eine Synthese von reiner, melodischer Musik und hartem, brutalem Rock und unfaßbaren, an Wahnsinn grenzenden Empfindungen zu finden." Im Herbst 1972 löste sich der Bassist Jerry Berkers, der unter dem Titel "Unterwegs" eine eigene Platte veröffentlichte, von Wallenstein und trat nur noch solo auf. In den nächsten Monaten gastierte Wallenstein "mit der Show wie bei Alice Cooper - lackierte Fingernägel, geschminkte Gesichter" (Pressetext) als Trio in der Schweiz und in Frankreich. TV-Auftritte im französischen, österreichischen und schweizer Fernsehen schlossen sich an. Durch die Sendung "Klatschmohn" und ein 70minütiges WDR-Porträt wurden Wallenstein auch in der Bundesrepublik vorgestellt. Vom Mai bis zum August 1973 bediente Dieter Meier den Wallenstein-Bass, danach kam Jürgen Pluta (4.12.50) in die Band. Im Juni wurde der Geiger Joachim Reiser als fünftes Wallenstein-Mitglied integriert. Mit Pluta und Reiser spielten Wallenstein am 16. September 1973 auf dem German Rock Festival in Krefeld und "räumten mächtig ab" (POP). Noch im gleichen Jahr erschien "Cosmic Century", das dritte Wallenstein-Produkt und erste Werk des "Symphonischen Rock Orchester". Nach langer Besinnungszeit spielten Wallenstein als letzte Gruppe des Labels "Kosmische Musik" im Januar 1975 das Album "Stories, Songs & Symphonies" ein, mit dem Bandchef Jürgen Dollase seine Programmusik-Idee zu verwirklichen suchte. Das Ergebnis, eine unharmonische Mischung aus Klassik, Jazz und Rock, fand keinen Anklang. Mitte 1975 verließ der Gitarrist Bill Barone die Band in Richtung USA, und auch der Schlagzeuger Harald Großkopf (später gelegentlich Mitspieler von Klaus Schulze) trennte sich von Wallenstein. Mit den neuen Mitspielern Gerd Klöcker (Gitarre) und Nicky Gebhard (Schlagzeug) erschienen Wallenstein im Herbst 1975 auf einer sehr erfolgreichen Frankreichtournee. Im Frühjahr 1976 verabschiedete sich auch der Geiger Joachim Reiser. Danach wurde es wieder still um Wallenstein. Erst eine Herbsttournee - zu der auch ein gelungener Auftritt beim "First Dortmunder Rockdream Festival" (2.10.) gehörte - brachte die Band wieder ins Gespräch. Musikalisch neu gewandet stellten sich Jürgen Dollase (Keyboards), Gerd Klöcker (Gitarre), Jürgen Pluta (Bass) und Nicky Gebhard (Schlagzeug) vom 16.4. - 25.6. auf einer Deutschlandtournee vor, zu der auch ein Auftritt beim Deutschrock-Festival in Krefeld (Pfingsten) gehörte. Auf der gleichzeitig erschienenen LP "No More Love" (dem auf der Plattenhülle abgebildeten Paar fehlten jegliche Geschlechtsteile) stellte sich das Quartett befreit vom Pathos vergangener Tage vor, blieb aber musikalisch flau und konzeptlos. Nach einem Konzert in Hildesheim (26.5.1978) entließ Jürgen Dollase alle Mitspieler und bereitete mit neuen Musikern einen Richtungs- und Stilwandel vor. Mit Joachim "Kim" Merz (2.2.53, Gesang), Pete Brough (17.12.55, Gitarre), Michael Dommers (22.10.53, Gesang), Terry Park (10.3.54, Bass) und Charly Terstappen (26.3.53, Schlagzeug) nahm er bereits Mitte 1978 zehn Eigenkompositionen auf, die mit den 'kopflastigen' ersten vier Wallenstein-Produktionen nicht zu vergleichen sind. Die Langspielplatte "Charline" macht deutlich, daß sich Wallenstein für einen kommerzielleren Weg mit gradlinigem Rock, einfacher Melodieführung und mehrstimmigen Gesang entschieden hatten. Am 10. November stellte sich die neue Wallenstein-Besetzung mit dem aktuellen Pop-Rock-Repertoire erstmals öffentlich in der Mönchengladbacher Kaiser Friedrich-Halle vor. Ihr Auftritt am 7.12. beim Dortmunder "Sound & Music Festival" wurde vom WDR aufgezeichnet und in der "Rockpalast"-Sendung am 27.12.1978 ausgestrahlt. Nach einer 79er Frühjahrstournee, "wo sie gefeiert wurden wie sonst nur ausländische Bands" (POP), und einem "Disco"-Auftritt kam die Gruppe zu ihrem ersten und einzigen Singlehit: "Charline" kletterte bis auf Rang 17 in den deutschen Popcharts. Im Sog des Single-Erfolges gaben Wallenstein 1979 mehr als 200 Konzerte, u. a. auf dem Loreley-Festival (12.8.79) und dem Festival in Pforzheim. Dazu kam (am 10.8.79) ein TV-Auftritt in der "Szene". Auch die im Oktober veröffentlichte LP "Blue Eyed Boys" entstand nach dem neuen Dollase-Konzept: "Eine straight spielende Rhythmussektion, ein prägender Lead-Gesang und ein hervorragender Satzgesang". Der gefällig arrangierte und durchsichtig produzierte Pop-Rock war kommerziell überaus erfolgreich. So verkaufte auch die Single-Auskopplung "Don't Let It Be" mehr als 100.00 Exemplare. Ab 1.1.1980 waren Wallenstein bei EMI unter Vertrag. Dort erschien bereits im März das Album "Fräulein"; bestückt mit "Pop sauberster Machart" (MUSIK EXPRESS). Die Band promotete das neue Songmaterial auf einer großen Deutschlandtournee und besuchte (gemeinsam mit den Scorpions) auch die Benelux-Länder, Frankreich, Österreich und die Schweiz. Zwischenzeitlich setzte sich der Gitarrist Pete Brough ab, um in Südafrika ein Mitglied der Gruppe Clout zu heiraten. Jürgen Dollase, Texter, Komponist und Produzent aller Wallenstein-Werke, war 1980 Gastdozent an der Pädagogischen Hochschule Aachen. Mit der gegen Ende 1980 veröffentlichten Single "Lady In Blue" kam es zum ersten kommerziellen Einbruch. Auch das Album "Sssss ... top", obwohl deutlich Rock-orientierter konzipiert und weitgehend spieltechnisch hervorragend gestaltet, konnte am schwindenden Hörerinteresse nichts ändern. Von März bis Juni 1981 gingen Wallenstein letztmalig auf Tournee. Dann wurde die Band - wie andere auch - von der Neuen Deutschen Welle überspült. "Mit englischen Texten", erkannte Dollase, "war nichts mehr zu machen". Die 1982 gestarteten Versuche mit deutschen Textzeilen blieben in der Schublade. Ende 1982 schloß Dollase das Kapitel Wallenstein ab: "Ich denke gern daran zurück, weil ich immer von dieser Musik gelebt habe. Aber nun bin ich froh, daß Schluß ist". MOTHER UNIVERSE (1972) Pilz 2029.113 BLITZKRIEG (1972) Pilz 2029.064 COSMIC CENTURY (1973) STORIES, SONGS & SYMPHONIES (1975) Kosmische Musik KM 58014 NO MORE LOVE (1977) CHARLINE (1978) BLUE EYED BOYS (1979) FRÄULEIN (1980) SSSSS...TOP (1981) Kim Merz: WENN DER VOLLMOND ZUSCHLÄGT (1983) Coconut 105666 |
|